Der Rabbiner Dr. Meyer sagte einmal: "Ich beschäftige mich jetzt etwa 56 Jahre mit dem Talmud. Er hat überhaupt niemals Stellung gegen Christen und Christentum genommen. Daß solche Schriften anonym untergebracht seien, ist eine vollständig haltlose Behauptung."
Zunächst ist die echt rabbinische Redewendung zu betrachten: der Talmud solle nichts gegen die Christen enthalten. Von Christus aber wird wohlweislich geschwiegen. Der Herr Meyer weiß nämlich sehr genau, daß Jesus im heiligen Buch der Juden der "Zauberer" ist (Sanhedrin 107 a), daß er einen "unreinen" Namen hat (Schabbath 44 a), daß er ein "Narr" genannt wird (Schabbath 104 b), daß die Talmudrabbis aus der persischen Bezeichnung Christi Ben-Stara (Sternensohn), spöttisch Ben-Stada (Hurensohn) machten (Schabbath 104 b).
Weiter muß dem gelehrten Dr. Meyer bekannt sein, daß die Evangelien ausdrücklich als "Ränder des Unheils" bezeichnet werden, und daß der große Rabbi Ismael in einer Betrachtung darüber "Davids" Wort anführt, "völligen Hasses voll, hasse ich deine Hasser. Feinde sind sie mir" (Schabbath 116 a); weiter heißen sie "Bücher der Ketzer" (Schabbath 46 a), die "samt und sonders" verbrannt werden sollen; und am Ende des 19. Jahrhunderts bezog ein Kollege des Herrn Dr. Meyer, Rabbi Nacht, die Worte "Speichelzieher" ausdrücklich auf die Christen (vergleiche Dr. Lippe: Rabb.-Wissensch. Vorträge 1897, S. 71).
Ich habe diese Stellen nicht dem bösen Prof. Rohling entnommen, sondern der von zwei Rabbinern durchkorrigierten Übertragung Dr. A. Wunsches. Ich habe auch beim Lesen dieser durchkorrigierten Arbeit manche merkwürdigen Entdeckungen gemacht. So heißt es z.B. Aboda zara 4b: Rabbi Chananja sagt: "Wenn jemand dir 400 Jahre nach der Zerstörung des Tempels sagen würde 'Kaufe dieses Feld für einen Denar', obschon es tausend Denar wert ist — so kaufe es nicht; denn in dieser Zeit wird der Messias kommen und wir werden erlöst werden; warum sollst du einen Denar verlieren." Dieser das ganze jüdisch-religiös-geschäftstüchtige Wesen mit einem Schlaglicht beleuchtende Zusatz fehlt sei der von den Rabbis durchgesehenen Übersetzung! Er steht aber in der Übertragung Webers (System der altpalästinensischen Theologie, S. 335). Dieses Werk ist die Frucht einer 19jährigen Arbeit und vom bekannten Judenfreunde Franz Delitzsch herausgegeben worden.
Dies nur nebenbei. Was die "haltlose Behauptung" betrifft, anonyme Schriften seien nicht untergebracht worden, so wurden die Christus betreffenden Talmudstellen am Ende des 19. Jahrhunderts gesammelt herausgegeben. (Laible: Jesus Christus im Talmud). Zudem: weiß Herr Rabbi Meyer nichts vom "Toldoth Jeschu", welches als eine der größten Verhöhnungen Christi jahrhundertelang in allen jüdischen Kreisen der Welt zirkulierte, heute einen der größten Schätze der jüdischen Börsenherren Londons, Paris', Neuyorks ausmacht und — selbst jetzt noch geheim verbreitet und — vor allem — neu geschrieben wird. Dies bezeugt voller Stolz der Jude Strauß in seinem Buche "Das Toldoth Jeschu".
Aber wenn das alles noch nicht genügt, mochte ich einen Kronzeugen antreten lassen, einen, dessen Lob zu singen Israel nicht müde wird: Herrn Prof. Dr. Hermann L e b e r e c h t S t r a c k, auf den auch Rabbi Meyer verweist.
Nun behauptet Herr Strack, "deutschnational bis auf die Knochen" zu sein, aber die rüstigen "Auf Vorposten" haben schon die nicht dementierte Meldung gebracht, die Großmutter des deutschnationalen Professors sei eine echte Jüdin namens Hertz gewesen (Heft 11/12,1921).
Wie schon aus dem "Offenen Brief" ersichtlich, bestreitet Prof. Strack aufs entschiedenste das Vorhandensein jüdischer Geheimschriften und einer geheimen mündlichen Tradition. Er verweist auch auf Werke von sich aus den Jahren 1893 und 1900. Nun ist in Leipzig im Jahre 1894 von demselben Verfasser ein noch heute vielgenanntes Werk erschienen: "Einleitung in den Talmud". Auf S. 74 dieser Schrift teilt Prof. Strack mit, daß im Jahre 1631 die jüdische Ältestenversammlung in Polen ein Zirkular folgenden Inhalts herausgegeben hätte: "Da wir erfahren haben, daß viele Christen große Mühe auf die Erlernung der Sprache, in welcher unsere Bücher geschrieben sind, verwendet haben, schärfen wir euch (den Rabbinern) unter Androhung des großen Bannes ein, daß ihr in keiner neuen Ausgabe der Mischna oder der Gemara irgend etwas auf Jesum von Nazareth Bezügliches veröffentlicht. . . Wir befehlen, daß, wenn ihr eine neue Ausgabe dieser Bücher veröffentlicht, die auf J. v. N. bezüglichen Stellen wegbleiben und der Raum mit einem Kreischen ausgefüllt werde. Die Rabbiner und Lehrer werden wissen, wie die Jugend mündlich zu unterrichten ist. Dann werden die Christen über dieses Thema nichts mehr gegen uns aufzuweisen haben und wir können Befreiung von den Drangsalen erwarten..."
Dieselbe Stelle hat Strack dem Werk von G. des Mousseaux "Le Juif" entnommen, dieser wiederum dem Werk eines ehemaligen Rabbiners (Drach: Harmonie entre l'Eglise et la Synagogue I, S. 167—168).
Strack war sich also auf seiner geistigen Höhe über die Tatsache jüdischer Geheimüberlieferung vollkommen im klaren.
Es ließe sich noch vieles über das Kapitel sagen. Vielleicht gibt ein anderer Rabbi bald wieder Gelegenheit, uns mit dem Talmud und seinen Freunden etwas zu befassen. Wo bleiben aber die Blätter, die immer ihr Christentum ganz besonders zu betonen lieben? Das Merkwürdige ist, daß gerade sie in den "Gesetztreuen" noch ihre liebsten Juden sehen.